Nichts gelernt
EM vermittelt ein falsches und gefährliches Bild. 8.Juli 2021
Fußball und Partys, als wenn es Corona nicht mehr gibt. Collage: Blume, Hintergrundbild von Michal Jarmoluk auf Pixabay
Hmm, ab heute ist es geschafft. Die Delta-Variante hat auch in Deutschland die Priorität bei den Corona-Neuinfektionen übernommen. Und ich habe mal wieder das Gefühl, als hätten (fast) alle Menschen nichts - aber auch so gar nichts - aus den vergangenen Monaten gelernt.
Klar, ich habe Verständnis, dass man keine Lust mehr auf Einschränkungen wie Masketragen oder Abstandhalten hat. Aber die Bilder aus den Fußballstadien der EM vermitteln ein desaströses Bild, nämlich, wie wichtig Geld ist und wie wenig die Gesundheit aller bedeutet. Letztlich war das alles vorhersehbar. Die Zahlen der Neuinfektionen, die damit in Zusammenhang stehen, belegen es. Und es wurde meiner Meinung nach von Politikern billigend - vielleicht bei dem einen oder anderen mit etwas Zähneknirschen - in Kauf genommen. Sich nun hinzustellen wie der Herr Seehofer und zu sagen, wie unverantwortlich das alles sei, ist für mich unverantwortlich. Da hätte er wohl reichlich was früher mal den Mund aufmachen sollen.
Nach der EM ist vor Olympia, wo erneut viele Länder aufeinandertreffen und für das nächste Spreaderevent sorgen. Auch wenn die Verantwortlichen in Tokio inzwischen die Regeln für ihre Stadt verstärken und sogar darüber nachdenken, Publikum von den Spielen auszusperren.
Und mir muss man bitte auch erklären, warum wir vor kurzem noch Portugal-Urlauber mit einer Quarantänepflicht belegt haben, um die Ausbreitung der Delta-Variante in Deutschland zu verhindern und nun alle Virusvariantengebiete (wie Portugal, Russland und Indien) wieder "nur" zu Risikogebieten erklären - mit Freikauf von der Quarantäne. Und das mit der Begründung: Die Delta-Varianten-Zahlen seien in Deutschland vergleichbar hoch mit denen anderer Länder.
Oder wie ich es formulieren möchte: "Jetzt ist es auch schon völlig wurscht. Dat Dingens ist eh hier schon am Rotieren."
An den Flughäfen freut man sich, dass endlich wieder Flieger in die Urlaubsländer abgehen. Noch nicht ganz auf Vor-Corona-Niveau, aber bald.
Ich freue mich nicht, denn mir zeigt es, dass wir die Chance, die uns Corona gab, unser Konsumverhalten neu zu überdenken, überhaupt nicht genutzt haben oder nutzen wollen. Von den Vorteilen für die Umwelt will ich gar nicht mal sprechen. Stichwort: CO2-Ausstoß. Das Gleiche gilt für die Home-Office-Pflicht. Die Möglichkeit des Home-Office sorgte zum Beispiel dafür, dass es, nach aktueller Statistik - sehr viel weniger Tote bei Verkehrsunfällen gab, weil weniger Leute unterwegs waren. Statt sich darüber zu freuen und für einige Bereiche das HO wenigstens teil- oder zeitweise fest zu etablieren, freut sich die Arbeitgeberwelt über die Rückkehr zur Präsenzpflicht.
Für die Schulen wird immer noch diskutiert, ob und wie man vielleicht über Lüftungsanlagen nachdenken soll. Eigeninitiativen von Eltern, die ihrer Schule solche Anlagen sponsern wollen, scheitern an unüberwindbaren Bürokratie- und Haftungsvorgaben. Bis zum Ende August soll es eventuell ein Impfangebot für Kinder ab zwölf Jahren geben .... Wenn die Stiko das empfiehlt, alles auf freiwilliger Basis und für Schleswig-Holstein bedeutet das, die Kinder gehen dann bereits seit etwa vier Wochen wieder regulär in die Schule, ohne dass sich auch nur ansatzweise etwas getan hat.
Alles in allem bin ich enttäuscht.
Ich hätte mir gewünscht, dass uns Corona ermöglicht hätte, über unser Verhalten nachzudenken und gute Lösungen für die Zukunft unserer Kinder und Enkel einzuleiten. Inzwischen stellt sich bei schönem Sommerwetter noch die Impfmüdigkeit bei ja doch so wundervoll niedrigen Inzidenzzahlen ein.
Aber dann bitte nicht beschweren, wenn allerspätestens im Herbst die Zahlen wieder nach oben schnellen, Lockerungen zurückgenommen werden und das schöne lustige Sommerleben sein abruptes Ende findet. Ich wollte es nur schon mal gesagt haben.
Ich bin inzwischen geimpft, das gibt mir ein kleines Bisschen das Gefühl von Sicherheit. Aber ich kann mich oder meine Familie immer noch anstecken, ohne es zu wissen. Ich genieße die Zeit der Lockerungen, bin aber weiter auf der Hut.
In diesem Sinne: Bleibt vorsichtig und gesund!
Übrigens: Eine Abschaffung der Maskenpflicht ist nicht zeitgleich ein Verbot, freiwillig eine Maske zu tragen.