Die Corona-Saga
Die gleichen Argumente in immer neuen Versionen oder "wie schreibe ich die Corona-Saga?" 7. April 2021
Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay
Hmm, seit meinem letzten Eintrag "Olé, olé - Corona" vom 30. Juni 2020 sind gut sieben Monate vergangen. Damals fühlte ich mich wie der einsame Rufer in der Wüste. Heute fühle ich mich, als hätte jemand ein Theaterstück geschrieben mit dem einzigen Plot - Corona - und hat dann festgestellt, man müsse daraus eine Fernsehserie mit zehn Staffeln entwickeln.
Unterwegs werden immer neue Drehbuchschreiber benannt, die allesamt keine Ideen haben, aber für Spannung sorgen sollen.
Dabei sind die Prämissen bekannt.
- Es gibt Corona
- Es ist gefährlich
- Es kann tödlich sein (aktuell weltweit 2,87 Mio Tote am 7. April 2021 im Vergleich zu einer halben Mio Ende Juni 2020)
- Dort, wo Menschen zusammenkommen, freut sich Corona.
- Ein Virus mutiert
Alles garantiert genügend Ausgangsmaterial für einen Horrorthriller. Aufgepept wird der Handlungsstrang durch harte Bilder von Intensivstationen und vielen Särgen, Toten in Kühlwagen und trauernden Menschen.
Dann kommen die Protagonisten ins Spiel. Politiker*innen, die sich erst einmal recht gut einführten. Sie informierten über die Lage, erklärten, was sie zu tun gedenken, um die Menschheit zu retten. Nicht überall in der Welt, aber die haben auch mit hohen Todeszahlen zu kämpfen. In Deutschland wird alles dichtgemacht. Ein Schritt, den das Volk weitgehend ohne Murren mitträgt. Der Himmel wird blauer durch das Fehlen der vielen Flieger, die Menschen entdecken die Natur vor der Haustür für sich und dass sie plötzlich Zeit haben, um sich auf Familie und verloren geglaubte Interessen zu konzentrieren. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Die Zahlen, damals im Verhältnis zu heute lächerlich gering, sinken. Alle atmen auf.
Und dann kamen anscheinend neue Autoren ins Spiel, die meinten, das wäre ja langweilig. Sie ließen Gruppen von Quer-, Anders- und Leerdenkern auferstehen. Und da sich das immer gut macht (Achtung Ironie) kocht man noch braune Brühe mit rein. Auf der anderen Seite werden die Rufe nach Lockerungen laut. "Die kleine Grippe" werde eh überbewertet und sei keine Entschuldigung, dass die Wirtschaft den Bach heruntergehe. Die Lobbyisten haben Hochkonjunktur. Die Politiker brechen langsam unter dem Druck zusammen. Die Wissenschaftler warnen. Noch steht das Volk hinter den Maßnahmen, aber die Sonne scheint und irgendwann würde man gerne die Familie mal wieder um sich haben und man muss unbedingt seinen Urlaub genießen dürfen. Man trifft sich. Das Ergebnis: die Zahlen steigen.
Härtere Maßnahmen müssen her. Was anfangs noch ging, geht nun nicht mehr. Selbst Gerichte kippen Versammlungsverbote oder Beschränkungen. Das gibt denjenigen Aufwind, die eh alle Maßnahmen für unverhältnismäßig halten und sich von einem "Schnupfen" nicht ihre Grundrechte nehmen lassen wollen. Die Politiker werden nervös. Die Wissenschaftler mahnen weiter.
Nach Weihnachten steigen die Zahlen, die Intensivmediziner und ihr Pflegepersonal, das ohnehin kaum aufatmen konnte, sind am Ende ihrer Kräfte. Ihre Tatsachenberichte werden aber kaum noch gehört oder als Ergebnis jahrelang verfehlter Gesundsheitspolitik gesehen. Davon könne man aber eine Beschneidung der allgemeinen Grundrechte nicht abhängig machen. Auf Einzelschicksale kann man keine Rücksicht nehmen, wenn das Gesamtwohl der Gesellschaft auf dem Spiel steht.
Die Toten in Altenheimen? Ja, schlimm - aber nicht relevant, wenn dadurch die Wirtschaft am Abgrund steht, so eine sich immer stärker durchsetzende Meinung. Solidarität? Jeder ist für Solidarität, wenn er denn Vorteile davon hat, sonst hält sich der Ruf danach schnell in Grenzen.
Und was ist überhaupt mit Kindern und Jugendlichen? Sie werden ihrer Kindheit beraubt und haben traumatische Erlebnisse. Nun, in anderen Ländern wachsen Kinder im permanten Kriegs- und Flüchtlingsmodus auf. Ja, ist nicht zu vergleichen, höre ich nun einige murmeln. Nein, ist es nicht, denn uns allen geht es weitgehend gut. Wir haben ein Dach über dem Kopf und in der Regel genug zu essen. Wir brauchen nicht um unser Leben zu fürchten.
Ach ja, und außerdem soll es ja nun Impfstoff geben. Die Hoffnung wächst, dass damit das Ende der Pandemie eingeleitet wird. Als er tatsächlich da ist, freut sich wirklich noch jeder über die Bilder der Glücklichen, die als Erste den ersehnten Pieks entgegennehmen durften.
Für die Drehbuchautoren müsste nun das Happy End eingeläutet werden. Aber das schien zu früh. Es wurden noch nicht die Urinstinkte der Zuschauer befriedigt.
So begann die Episode "Neid". Neid, weil man nicht genug Masken hatte und nicht genug Impfstoff. Die Schuldigen waren schnell gefunden: die Politiker, die es verabsäumt hatten, genug zu bestellen. Von Impfmitteln, von denen noch keiner wusste, welche die Prüfungen bestehen würden. In anderen Ländern wurde schneller geimpft. Unglaublich. Und überhaupt kann man sich dort an jeder Ecke impfen lassen. Ja, die Bürokratie stellt sich bei uns gerade selbst ein Bein. Das ist unbenommen und dafür könnte man vielleicht den Politikern einen Vorwurf machen. Aber das war schon weit vor Corona so.
In der Episode "Zweifel" kamen dann Zweifel auf, ob eine so schnelle Entwicklung von Impfstoffen überhaupt mit rechten Dingen zugehen kann. Was nicht über Jahre erprobt wurde, wie sonst auch, kann schließlich nichts Gutes sein. Neben allen anderen Verschwörungstheorien konnte man noch die von den geheimen Mächten im Hintergrund zufügen, die den Impfstoff schon lange vorhalten und nur auf den Einsatz gewartet haben. Und irgendwann konnte man auch endlich sagen: "Siehste! Ich habe es gewusst. Der AstraZeneca macht Thrombosen. Ich lass mich damit doch nicht vergiften." Schuld daran - natürlich die Politiker, die das nicht vorher schon wussten. Die Pille, die abertausende von Frauen täglich - freiwillig - schlucken, hat prozentual wesentlich mehr Nebenwirkungen, ebenso wie einige Kopfschmerzmittel. Aber darüber lässt sich nicht so schön schimpfen.
Derweil gingen Kinder wieder in den Kindergarten und in die Schulen und - welch besondere Erkenntnis - sie infizierten sich. Wie erstaunlich, dass das, was Virologen sagten, tatsächlich eintraf. Erstaunlich ebenfalls, dass viele Erkenntnisse nach einem Jahr immer noch keine grundlegenden Veränderungen brachten. Digitalisierung, Lüftung in Schulen - außer etlichen Ankündigungen ist nichts Wesentliches passiert und die Schul- und Kita-Leitungen wurden ihrem Schicksal überlassen.
Inzwischen war Zeit für die Autoren, den nächsten Lockdown noch mal mit hineinzuschreiben. Dieses Mal mit noch mehr Protesten Andersdenkender, mit scheinbar hilfloser Polizei, die sich in Deeskalation versuchte, was als Verbrüderung gesehen wurde. In den Fällen, wo sie hart durchgriff, wurde "Polizeigewalt" gebellt. Videos gingen entsprechend viral. Von den vielen Polizisten, die sich in Ausführung ihres Dienstes mit Flaschen und Steinen bewerfen lassen mussten und verletzt wurden, wird eher weniger gesprochen.
Auch von Pflege- und Rettungskräften, die weiterhin wochenlang um das Leben von Covid-Patienten auf den Intensivstationen kämpfen, wurde es ruhiger. "Es sind ja noch Betten frei!", heißt es. Nur, dass Betten selbst keine Kranken pflegen.
Hatte ich schon erwähnt, dass langsam die "normalen, stillen Menschen", die allesamt seit über einem Jahr ohne Murren die Einschränkung ihrer Grundrechte hingenommen hatten, langsam das Gefühl bekamen, nur die Lauten werden gehört? Die sich aber langsam vera.... vorkommen, weil sie seit einem Jahr alten Wein in neuen Schläuchen vorgesetzt bekommen? Einschließlich des Argumentenhoppings wie AstraZeneca nur für unter 65-Jährige, jetzt nur noch für Ü60-Jährige oder vielleicht auch gar nicht.
Präsenzunterricht in Schulen und Öffnung von Kindergärten ja, aber in Altersheimen, wo alle durchgeimpft sind, lieber noch keinen Besuch von Angehörigen. Mallorca-Urlaub ja, aber in Deutschland bitte alle zuhausebleiben und höchstens einen weiteren Haushalt treffen. Beschlossene Notbremsen, die schon in dem Moment nicht mehr die Tinte auf dem Papier wert sind, wenn sie als Ergebnis nächtelanger gemeinsamer Anstrengungen von Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Auch schon gemerkt? Viele der Argumente für Lockdowns, Lockerungen bewegen sich in einer Zeitschleife und werden immer wieder neu hervorgeholt - als Neuigkeiten. Nicht nur ich habe da das Gefühl immer wieder ein Déjà Vu zu haben.
Ach ja, und nun kommt plötzlich noch die Episode "Wahlkampf" mit dazu. Das Publikum muss von der eigentlichen Fährte - dass es immer noch nicht genug Lösungen und Impfstoffe gibt - abgelenkt werden.
Da fordert ein kleiner Mann lauthals mit neuem Begriff einen sofortigen Lockdown. Etwas, das die Wissenschaft und die Kanzlerin schon seit Wochen möchten. Und stimmt es so laut an, dass jeder denken soll, er wäre ganz allein auf die Idee gekommen. Derselbe, der noch mit Inbrunst kürzlich für Lockerungen trotz hoher Inzidenzwerte eintrat. Sein Gegenpart muss einfach nur abwarten, wie die Akzeptanz für seinen Mitbewerber ob dieser Gangart schwindet.
Dabei scheint gerade in Vergessenheit zu geraten, dass wir da noch diese merkwürdige Pandemie haben und - ach, da waren auch noch die seltsamen Vorgänge in der Partei, bei der sich einige bereichert haben sollen an Masken und so. Übrigens nur ein weiterer Einfall der Drehbuchautoren, um Verwirrung zu stiften.
Und was sagt das normale Volk so? Erstmal nicht viel. Die meisten Bürger*innen wollen sich mehrheitlich impfen lassen, um ihre Liebsten endlich mal wieder ohne Angst treffen zu können, sie wollen ein bisschen altes Leben zurück. Sie sagen vielleicht nicht viel, aber sie vergessen nicht. Und das könnte sich bei der Wahl widerspiegeln. Wahrscheinlich und hoffentlich nicht mit brauner Soße, denn von dort kommt erst recht(s) nichts an Lösungen.
Und was lassen sich die Drehbuchautoren nun einfallen? Ach ja, Doppelmutante kommt gerade auf. Modellversuche trotz hoher Inzidenzzahlen, die schon jetzt zum Scheitern verurteilt zu sein scheinen. Und andere Länder haben überhaupt noch keinen Impfstoff bekommen. Die Wirtschaft ist übrigens nicht so untergegangen wie von allen befürchtet und erwartet starken Aufschwung spätestens im nächsten Jahr.
Die Wirtschaft um die Ecke, der Kultursektor und die regionalen Händler kämpfen dagegen schon um ihr Überleben. Immerhin greifen nun die Hausärzte beim Impfen mit ein und in Nordrhein-Westfalen gibt es den ersten Impf-Drive-In - nach dem Vorbild Israels und Amerikas. Die Mühlen mahlen langsam in Deutschland. Es stünde dem Virus gut zu Gesicht, sich der deutschen Gründlichkeit anzupassen.
Insgesamt gibt es noch Platz genug für weitere Episoden im Leben der Corona-Saga und irgendwann hoffentlich ein Happy End.
Bis dahin heißt es - Abstand halten, Maske tragen und sich impfen lassen. Kommt gesund durch den Tag!